21 September 2018

Tryon 2018: Tagebuch Freitag, 21. September

Heute wurde es ernst. Der Dressurtag und damit die erste Teilprüfung für die Ermittlung des neuen – oder doch alten? – Weltmeisters und die Vergabe der Mannschaftsmedaillen begann schon früh am Morgen. Um 4.30 Uhr hieß es für ein Teil der Teams Aufstehen, um sich auf den Weg vom Hotel nach Tryon zu machen. Eine Vorbereitung im Stockdunklen. Sicherlich auch ein Novum bei einem Championat.

Georg von Stein
Foto: Karolina Swärdh

Um 8.30 Uhr ging als Erster der Gelände- und Hindernisfahrspezialist Jerome Voutaz ins Viereck. Präzise Hufschlagfiguren, erkennbare Tempi-Unterschiede und immerhin ein Ergebnis von 60,35 Strafpunkten. Eine ordentliche Ausgangsposition für den Eidgenossen, dessen große Stärken im Gelände und im Hindernisfahren liegen. Bei der letztjährigen EM in Göteborg hatte er ja diese beiden Teilprüfungen gewonnen.

Der erste Deutsche im Viereck war Georg von Stein, der um Punkt 9 Uhr seine Vorführung begann. Mit 53,86 Strafpunkten sicherlich nicht das erhoffte Ergebnis für den amtierenden Deutschen Meister. Direkt vor ihm im Viereck war der US-Amerikaner James Fairclough, der mit 53,15 Strafpunkten ein für ihn achtbares Ergebnis erzielte, und dessen Auftritt von den doch zahlreich erschienenen amerikanischen Fans frenetisch bejubelt wurde. Dieser Jubel drang natürlich auch auf den unmittelbar danebenliegenden – übrigens sehr kleinen – Vorbereitungsplatz, der dem jeweils nächsten Starter zur Verfügung stand. “Als James Fairclough seine Dressur beendet hatte und der Beifall doch lautstark ertönte, war für mich leider sofort eine große Spannung in meinem Viererzug deutlich zu spüren. Ich bekam bis zu meinem Einfahren in das Viereck diese Spannung auch nicht mehr aus dem Gespann. Schade, denn auf dem eigentlichen Abfahrplatz waren meine Pferde wunderbar locker und gelassen,“ so kommentierte Georg von Stein leicht frustriert seinen Eröffnungsauftritt bei dieser WM. Dem ist nicht viel hinzuzufügen. Die erste Hälfte der Vorführung litt extrem unter dieser Spannung. Insbesondere die Vorderpferde waren davon betroffen. Die erste Schrittpassage missriet völlig.

In den Einschätzungen im Hinblick auf eine Mannschaftsmedaille wurden die Franzosen und die Belgier als größte Konkurrenten der Deutschen eingestuft. Die Niederländer bleiben bei dieser Betrachtung außen vor. Sie schlagen zu können, wäre eine utopische Einschätzung.

Als der Franzose Horde mit 65,19 und der Belgier Degrieck mit 61,47 Strafpunkten das Viereck verließen, hellten sich die Mienen etwas auf. Bram Chardon legte nach einer tollen praktisch fehlerfreien Dressur 46,37 Punkte für die Niederländer vor und ging zwischenzeitlich erwartungsgemäß in Führung.Die US-Amerikanerin Misdey Wrigley-Miller toppte danach den Niederländer noch mit 42,00 Punkten.


Mareike Harm
Foto: Karolina Swärdh

Nach einer kurzen Pause dann zu Beginn der 2. Hälfte des Teilnehmerfeldes fuhr Mareike Harm ins Viereck ein. Sie wurde eigentlich als das stärkste Mannschaftsmitglied in der Dressur eingeschätzt. Aber sie knackte auch nicht die 50-Punktemarke, und mit 51,79 Punkten blieb sie doch etwas hinter den Erwartungen zurück. Es gelang ihr nicht, eine positive Spannung im Gespann über die komplette Dressur zu erhalten und die überragende Gangqualität ihrer Pferde durchgehend positiv zu präsentieren. Insbesondere bei den Lektionen im Starken Trab blieb sie etwas unter ihren Möglichkeiten.

Thibault Coudry mit 52,56 und der Belgier Glenn Geerts mit 55,13 Punkten blieben hinter Mareike Harm und sorgten damit für gedankliche Entspannung im deutschen Team. Der Niederländer Koos de Ronde, sicherlich einer der Mitfavoriten auf eine Medaille, verpatzte seine Dressur völlig und war mit 56,93 Strafpunkten noch recht gut bedient.

Dann kam der Auftritt des Titelverteidigers: Boyd Exell zelebrierte wieder einmal eine Dressur vom Allerfeinsten. Exzellente Übergänge, toll herausgefahrene Tempi-Unterschiede, korrekte Hufschlagfiguren – es war ein optischer Genuss. Sein verdientes Ergebnis – und damit natürlich auch die Führung und letztendlich dann auch der Sieg in dieser Prüfung – 31,68 Strafpunkte. Ein Ergebnis, das nach meiner Erinnerung noch nie bei einem Championat erzielt wurde. Wenn in seiner heutigen Beurteilung die 30-Punktemarke unterschritten worden wäre, hätte sich mit Sicherheit auch niemand darüber gewundert.

Direkt nach dem Titelverteidiger der beste US-Amerikaner, Chester Weber. Auch seine Dressurvorstellung wunderbar. Allerdings an die Klasse und die Ausstrahlung eines Boyd Exell reichte er nicht heran. Mit immerhin 35,10 Strafpunkten bewertete die Jury seinen Auftritt.


Christoph Sandmann
Foto: Karolina Swärdh

Direkt danach dann mit Christoph Sandmann der letzte Deutsche. Der Routinier aus Lähden begann sehr schwungvoll mit optisch sehr losgelassenen Pferden; dies sieht man bei ihm ja nicht immer mit seinen holländischen Wallachen. Der starke Trab auch nicht so ausdrucksvoll, dass hier hohe Noten vergeben werden konnten. Die Schrittlektionen taktsicher, aber mit wenig Raumgriff und Fleiß. So gab es dann ein Ergebnis von 51,03 Punkten für ihn, damit dann in der Endabrechnung Platz 8 und somit bestes deutsches Ergebnis.

Nach ihm noch der beste französische Fahrer Benjamin Aillaud, der mit 48,84 Strafpunkten bewertet wurde. Vize-Europameister Edouard Simonet aus Belgien mit 47,19 Strafpunkten noch einen Takt besser. Den Schlusspunkt in diesem 19-köpfigen Teilnehmerfeld setzte dann der niederländische Aachen-Sieger Ijsbrand Chardon mit 41,06 Strafpunkten. Bei ihm stachen insbesondere die wunderbar schwungvollen und ganggewaltigen Vorderpferde heraus.

Die US-amerikanische Mannschaft liegt sehr deutlich nach der Dressur mit 77,10 Strafpunkten in Führung. Die Top-Favoriten Niederlande trotz des Ausfalls von Koos de Ronde immerhin schon 10 Punkte dahinter. Frankreich ist in gebührendem Abstand mit 101,40 Punkten auf Platz 3, und mit jeweils rund einem Punkt Abstand folgen die Belgier und dann das deutsche Team.

Die Deutschen hoffen natürlich auf den morgigen Marathontag. In dieser Teilprüfung Hier haben sie schon oft bei Championaten eine Aufholjagd starten können. Die Amerikaner werden im Gelände doch deutlich schwächer eingeschätzt. Aber ihr Vorsprung auf die Deutschen beträgt rund 25 Punkte – eigentlich eine kleine Ewigkeit. Und James Fairclough kann, wie natürlich auch insbesondere Chester Weber, durchaus positive Resultate im Gelände bringen.

Bei den Franzosen ist natürlich Benjamin Aillaud der herausragende Mann für ein Top-Geländeergebnis. Bei den Belgiern können sowohl Simonet als auch Geerts positive Akzente setzen. Es wird also ganz schwierig werden für unsere beiden Geländespezialisten Sandmann und von Stein, hier eine erfolgreiche Aufholjagd zu starten. Aber zuzutrauen ist es ihnen beiden.

Mareike Harm ist erfahrungsgemäß im Gelände eher schwächer einzuschätzen. Die Teamleitung setzt bei ihr eher auf ihr Ergebnis in der Dressur und beim Hindernisfahren.

Auch heute wieder drückende Schwüle mit hohen Temperaturen um die 30 Grad. Bezüglich der A-Phase ist jetzt auch eine Entscheidung gefallen. Diese wird deutlich auf knapp drei Kilometer verkürzt; auch das Tempo in der Phase B, der Hindernisstrecke, wurde heruntergesetzt. Also insgesamt eine deutliche Entschärfung der Situation. Es bleibt aber dennoch abzuwarten, wie die Pferde mit den extremen Witterungsbedingungen zurechtkommen.

Erster Starter morgen um 10.15 Uhr der US-Amerikaner James Fairclough. Georg von Stein beginnt um 10.50 Uhr, Christoph Sandmann um 11.25 Uhr und Mareike Harm ist der letzte deutsche Starter um 11.46 Uhr. Den Abschluss macht um 12.21 der Niederländer Bram Chardon; übrigens direkt nach seinem Vater Ijsbrand.

Rudolf Temporini

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